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Montag, 3. Oktober 2016

Zusammenfassung und Besprechung des Buches "Gemeinschaftsbildung" von Scott Peck

Der Weg zu authentischer Gemeinschaft[1]

In dem Buch "Gemeinschaftsbildung" von Scott Peck geht es darum, wie Gruppen von Menschen zu "echten Gemeinschaften" heranreifen können. Zur raschen Orientierung über die wichtigsten Inhalte und zum besseren Verständnis des recht komplexen Textes habe ich meine Buchbesprechung so gegliedert, dass eine Reihe von zentralen Fragen beantwortet werden. Zu diesem Zweck weiche ich von der Reihenfolge der Inhalte im Buch ab, das die Fragen z.T. an ganz verschiedenen Stellen beantwortet und sich z.T. auch wiederholt. Ich war aber bemüht, den Text von Peck möglichst unverfälscht und überwiegend in Form von wörtlichen Zitaten mit Angabe der Seitenzahlen wiederzugeben. Erst am Ende nehme ich in meinen eigenen Worten eine Zusammenfassung und persönliche Würdigung des Werkes vor.
Für eilige Leser empfehle ich, zuerst die Zusammenfassung am Ende zu lesen.

Gemeinschaftsbildung nach Scott Peck


Fragen, auf die das Buch Antworten gibt 


Was ist für Peck "echte Gemeinschaft"?


Laut Peck ist eine "authentische Gemeinschaft (…) ein sicherer Platz", wo "niemand versucht, dich zu verändern, in Ordnung zu bringen". Die üblichen "Schutzmechanismen und Widerstände (sind) nicht länger notwendig", weil die Mitglieder echter Gemeinschaften damit aufgehört haben, "sich gegenseitig heilen und umkrempeln zu wollen. (…) Du bist frei, du selbst zu sein! Und weil du frei bist, brauchst du keine Verteidigungsmechanismen mehr, keine Masken, keine Verkleidungen. (…). Du bist frei, dein eigenes, ganzes, heiliges Selbst zu werden." (S. 58)
In echten Gemeinschaften geht es nach Peck darum, "kulturelle und religiöse Unterschiede schätzen zu lernen, sogar zu feiern, und versöhnt mit einer pluralistischen Welt zu leben". (S. 18) Denn wir seien dazu geschaffen, "als Einzelne einmalig zu sein. Wir sind jedoch auch soziale Wesen, die sich gegenseitig nötig brauchen, (…) damit unser Leben sinnvoll ist. Das sind die Widersprüche, aus deren Überbrückung Gemeinschaft wachsen kann." (S. 46)
Laut Peck brauchen wir dringend eine neue Ethik des "sanften Individualismus". Wir können nicht wirklich wir selbst sein, "ehe wir nicht frei das miteinander teilen, was uns gemeinsam ist: unsere Schwäche, unsere Unvollkommenheit, (…) unsere Sünden, unseren Mangel an Ganzheit und Unabhängigkeit." (S. 49) Bei den Anonymen Alkoholikern heißt es: "Ich bin nicht ok, du bist nicht ok, aber das ist ok." Und: "Die einzige Person, die ich ändern kann, bin ich selbst."
Gemeinschaft in Pecks Sinn ist und muss einschließend sein. Der große Feind von Gemeinschaft ist das Ausschließen. "Gruppen, die andere ausschließen, (…) sind eben keine Gemeinschaften. Sie sind Cliquen – in der Tat defensive Bastionen gegen Gemeinschaft." (S. 51-52)
In Gemeinschaft dürfe es keinen "Druck zum Konformismus" geben. "Der Wille zu Einschließlichkeit (…) bezieht sich auf alle Bereiche." Menschliche Unterschiede werden "nicht ignoriert, verleugnet, versteckt oder verändert, sondern sie werden geschätzt." Idealerweise "wird Entfremdung in Wertschätzung und Versöhnung verwandelt". Es gibt "einen Wunsch nach Ganzheit. Das ist nicht nur eine Frage der Geschlechter, Rassen und Glaubensrichtungen. Die Ganzheit bezieht sich auch auf das ganze Spektrum menschlicher Emotionen. Tränen sind ebenso willkommen wie Lachen, Angst ebenso wie Vertrauen." (S. 52-53)
Peck weiter: "In jeder authentischen Gemeinschaft werden Entscheidungen durch Konsens getroffen, also einstimmig. (…) Mobbing-Mentalität kann nicht gedeihen in einer Umgebung, in der sich jeder frei ausdrücken und sich dem allgemeinen Trend widersetzen kann." (S. 53-54)
In einer wirklichen Gemeinschaft haben alle "Waffen und Rüstung abgelegt", alle sind "gut im Zuhören und Verstehen geworden". Sie "feiern" ihre Unterschiedlichkeiten und verbinden "sich gegenseitig ihre Wunden". Sie haben sich vorgenommen, "miteinander zu kämpfen anstatt gegeneinander". In einer authentischen Gemeinschaft "gibt es keine Parteibildung". Es gibt durchaus Konflikte. "Es ist aber ein Ort, wo Konflikte ohne körperliches oder emotionales Blutvergießen ausgetragen werden, in Weisheit und Anmut." (S. 60-61)
Echte Gemeinschaft ist eine "Group of all Leaders": Ein "Charakteristikum von wirklicher Gemeinschaft  ist die totale Dezentralisierung von Autorität" (…). Ihre Beschlüsse werden im Konsens erreicht." Alle leiten. Zwanghafte Führer fühlen sich "oft zum ersten Mal in ihrem Leben frei, nicht führen zu wollen". Schüchterne "fühlen sich frei, ihre latent vorhandenen Führungsgaben in die Gruppe einzubringen". Es entwickelt sich eine "fließende Führung". (S.61-62)
"Der Geist echter Gemeinschaft  ist der Geist des Friedens. (…) Eine ganz neue Art von Ruhe zieht ein. (…) Schweigen ist willkommen. Es fühlt sich ruhig an. Nichts ist anstrengend. Das Chaos hat ein Ende. Es ist, als wäre Lärm durch Musik ersetzt worden. Die Menschen lauschen und können hören. Alles ist friedlich." Der Kampf ist "ein liebender Kampf". Selbst atheistische Teilnehmer berichten "von gemeinschaftsbildenden Workshops als spiritueller Erfahrung". (S. 63)
Bevor sich eine Gruppe der Problemlösung widmet, sollte sie erst einmal zur Gemeinschaft geworden 
sein. (S. 89)

Was braucht es, damit Gruppen zu Gemeinschaften werden?

 

Verbindlichkeit

Gemeinschaften brauchen – so Peck – v.a. "Verbindlichkeit", und zwar "bezogen auf das 'Zusammenleben-Wollen'. Früher oder später – je früher desto besser – müssen sich die Mitglieder einer Gruppe füreinander entscheiden, wenn die eine Gemeinschaft werden oder bleiben wollen." Es sei ähnlich wie in der Ehe: "Unser Individualismus muss durch Verbindlichkeit ausgeglichen werden. Wenn wir durchhalten, merken wir oft nach einer Weile, dass sich nach dem Sturm die Wogen geglättet haben." (S. 52-53)
Die Hauptregel lautet: "Du kannst nicht aussteigen." Es geht um eine verbindliche Zusage, auch einen schmerzhaften Prozess durchzustehen. "Jeder von uns ist verantwortlich für den Erfolg unseres Prozesses. Wenn du unzufrieden bist, wie die Dinge laufen – und das wirst du sein – ist es deine Verantwortung zu sprechen und deine Unzufriedenheit auszudrücken, anstatt deine Sachen zu packen und leise abzuhauen." Nach Pecks Erfahrung "bricht etwa einer von dreißig Teilnehmern diese Vereinbarung". (S. 109-110)

Zeigen von Gebrochenheit und Verletzlichkeit

Gemeinschaft verlangt "das Geständnis von Gebrochenheit. (…) Wie seltsam, dass wir normalerweise den Drang fühlen, unsere Wunden zu verbergen, wo doch jeder Mensch Verletzungen in sich trägt! (…) In unseren Wunden ist Schmerz. Doch noch wichtiger ist die Liebe, die zwischen uns erfahrbar wird, wenn wir Verletzlichkeit zeigen und in anderen sehen." (S. 59)
Beim "ersten Auftreten von Verletzlichkeit" werden einem "recht wahrscheinlich Angst, Feinseligkeit oder übereilte Therapieversuche entgegengebracht, was nur den Allermutigsten unter uns nicht dazu treibt, sich hinter ihre Mauern zurückzuziehen. (…) Es kostet eine Gruppe von Unbekannten viel Arbeit, bis sie die Sicherheit echter Gemeinschaft  fühlt. Aber wenn dies gelingt, öffnen sich sozusagen die Schleusentore. Sobald die Menschen aus vollem Herzen sprechen können, sobald die meisten Mitglieder wissen, dass man ihnen zuhört und dass sie um ihrer selbst willen akzeptiert werden, ergießen sich jahrelang angestaute Frustration, Verletztheit, Schmerz, Schuld und Trauer nach außen. Und dieser Prozess beschleunigt sich mehr und mehr." (S. 57)
Nicht jeder muss reden, auch nonverbales Verhalten sagt viel. Schweigende Teilnehmer können der Gruppe viel Kraft geben und von ihr Kraft bekommen. Der Begleiter muss auf emotional zurückgezogene Teilnehmer aufmerksam machen. (S. 108)

Durchlaufen von Vier Phasen der Gemeinschaftsbildung

"Diese vier Phasen sind der Reihe nach:
  • Pseudogemeinschaft
  • Chaos
  • Leere
  • Gemeinschaft" (S. 73)

Pseudogemeinschaft

"In der Pseudogemeinschaft versucht eine Gruppe, Gemeinschaft ohne große Anstrengung durch Verstellung zu gewinnen". Die Menschen wollen liebevoll sein, "indem sie kleine, 'harmlose' Lügen sagen, indem sie einiges an Wahrheit über sich selbst und ihre Gefühle zurückhalten, um Konflikt zu vermeiden". (S. 75)

Chaos

"Das Chaos entsteht immer durch gut gemeinte, aber unangebrachte Versuche, zzu heilen oder den anderen zu ändern. (…) Hinter Heilungs- und Missionierungsversuchen steckt nicht so sehr Liebe, sondern das Motiv, befremdliche Ansichten anderer zu glätten oder andere durch vermeintlich stärkere Argumente zu besiegen." Das Kämpfen und Ringen "ist laut und unkreativ, nicht zielgerichtet". Es treten "Zweitleiter" auf, "die den eigentlichen Leiter ersetzen wollen. (…) Was sie vorschlagen, ist praktisch immer eine Flucht in die Planung. Es ist wahr, dass Planung das Chaos auflöst. (…) Nur leider sind Organisation und Gemeinschaft (…) unvereinbar." (S. 77-79)
"Gemeinschaft fordert von mir als Begleiter die aufrichtige Bereitschaft, in einen Zustand von Hilflosigkeit einzutreten. Sie verlangt, dass ich mich leer mache von meinem Bedürfnis, zu reden, meinem Bedürfnis, die ganze Zeit zu helfen, meinem Bedürfnis, ein Guru zu sein, von meinem Wunsch, ein Held zu sein, meinem schnellen und einfachen Antworten, meinen ach so geliebten Denkmustern. Nur dann kann eine Gruppe den Weg in die Leere beschreiten, wenn ihr Begleiter in der Lage ist, Leere zu praktizieren."
Die generelle Regel für Begleiter ist, dass sie "ihre Eingriffe auf Interpretationen des Gruppenverhaltens beschränken und nicht auf individuelles Verhalten eingehen". Es geht nicht darum, "der Gruppe zu sagen, was sie tun und was sie nicht tun soll, sondern das Bewusstsein über ihr Verhalten zu wecken". Hier einige Beispiele für Interventionen:
  • "Das ganze Chaos scheint sich um Versuche zu drehen, einander zu verändern."
  • "Es scheint mir, als wenn die jüngeren und die älteren Mitglieder sich selbst in verschiedene Fraktionen aufspalten."
  • "Die Gruppe scheint immer dann das Thema zu wechseln, wenn jemand etwas Schmerzhaftes sagt, als ob wir es nicht hören wollen, wenn jemand leidet."
  • "Ich frage mich, ob die gruppe sich nicht zunächst leer machen muss bezüglich ihres Ärgers wegen meiner schwachen Führung, bevor wir eine Gemeinschaft  werden können."
Man bringt den Mitgliedern so bei, "für die Gruppe als Ganzes zu denken". (S. 99-101)

Leere

Es führt nur ein Weg aus dem Chaos in echte Gemeinschaft: Leere und Stille. "Erst wenn wir uns von Erwartungen leer machen und nicht mehr versuchen, andere und unsere Beziehungen zu ihnen in vorgefertigte Formen zu pressen, können wir unvoreingenommen zuhören und wirkliche Erfahrungen machen." (S. 80-81)
"Meist ist der größte Liebesdienst, den wir einem leidenden Freund erweisen können, dieses Leid zu teilen – einfach da zu sein, sogar wenn wir nichts anzubieten haben außer unserer Gegenwart und sogar, wenn das Dabeisein für uns selbst schmerzlich ist."
Im Zustand der Leere realisieren die Gruppenmitglieder, "dass ihr Wunsch zu heilen, zu bekehren oder in anderer Weise ihre zwischenmenschlichen Unterschiede zu 'lösen', ein egozentrischer Wunsch ist. Nämlich der nach Bequemlichkeit durch Gleichmacherei, durch Einebnung dieser Unterschiede." (S. 83)
Es empfiehlt sich, Pausen zu machen, damit sich die Teilnehmer "während dieser Zeit von ihren Lösungen genügend leer machen können, damit wir einander wenigsten als unterschiedliche menschliche Wesen anerkennen können". Die Aufgabe an die Gruppenmitglieder ist, "sich in der Stille zu überlegen – während einer Pause oder über Nacht – wovon sie sich am dringendsten frei machen müssen".
In der Phase der Leere ist es typisch, dass der Leiter Angst hat, schlecht dazustehen, wenn der Workshop misslingt. "Aber das gewünschte Ergebnis – Gemeinschaft – kann nicht von einem autoritären Leiter erreicht werden. Es muss eine Schöpfung der Gruppe sein." Daher ist der Versuchung zu widerstehen, durch Kontrolle, Manipulation oder Manöver das gewünschte Ergebnis zu sichern. Ein wirkungsvoller Begleiter lehnt sich die meiste Zeit zurück, tut nichts, wartet und lässt geschehen. (S. 83-84)
Das "Aufgeben von Haltungen und Gewohnheiten ist ein großes Opfer. Folglich ist die Phase der Leere in der Gemeinschaftsentwicklung eine Zeit des Opferns. (…) Solch ein Opfer schmerzt, weil es eine Art Tod ist, die Art von Tod, die notwendig ist für eine Wiedergeburt." (S. 85)

Gemeinschaft und Tod der Gruppe

"Die Umwandlung einer Gruppe von einer Ansammlung von Individuen in authentische Gemeinschaft erfordert kleine Tode bei vielen dieser Individuen. Aber es ist auch ein Prozess des Sterbens der Gruppe, des Gruppentods. (…) Die ganze Gruppe scheint sich in ihrer Qual zu winden und zu stöhnen. (…) Unter bestimmten Umständen sind wir Menschen auf einer immateriellen, doch sehr realen Ebene im Stande, füreinander zu sterben." (S. 87)
"Wenn der Tod der Gruppe vollbracht ist, wird sie – offen und leer – eine Gemeinschaft. In dieser abschließenden Phase senkt sich eine sanfte Ruhe auf sie herab. Es herrscht Frieden. (…) Die Gruppe ist jetzt sehr offen und verletzbar." Bei Stille "besteht kein Unbehagen". Man "spricht sehr tief, sehr persönlich über sich selbst" (…) Es wird viel Traurigkeit und Kummer ausgesprochen; aber es wird auch viel Lachen und Freude geben. Ebenso wie Tränen und Überfluss." (S. 88)
Das Ziel von Gemeinschaft ist Friede und Liebe. Daher müssen authentische Gemeinschaften "für das Gute stehen und nicht gegen das Schlechte sein". Es ist besser, die Gemeinschaft stirbt, als ein Feindbild aufzubauen. (S. 139)

Größe der Gruppen und Zeitbedarf

Die Größe von Pecks Gruppen bei Gemeinschaftsbildungsworkshops ging von 25 bis 65 Teilnehmer. "Das obere Limit wurde dadurch gesetzt, dass das die größte Gruppe ist, die noch einen überschaubaren Kreis bilden kann." Nach Pecks Erfahrung "reichen zwei Tage für eine Gruppe von 30 bis 60 Teilnehmer aus, um zu einer echten Gemeinschaft  zu werden".
Gemeinschaft  kann auch in wenigen Stunden entstehen, "wenn die Gruppe vorher instruiert wird:
  • Allgemeinplätze wegzulassen
  • in Ich-Botschaften zu sprechen
  • sich verletzlich zu zeigen
  • nicht zu versuchen, zu heilen oder zu bekehren
  • sich zu leeren
  • mit dem ganzen Wesen zuzuhören und
  • sowohl das Schmerzliche als auch das Angenehme willkommen zu heißen". 
Allerdings ist die Glückserfahrung größer, wenn zur Gemeinschaftsbildung mehr Mühe aufgewendet werden musste als bei einer Kurzversion. (S. 107-109)
"Es ist wichtig für Kurzzeitgemeinschaften, sich zum Beenden Zeit zu lassen. Das gelingt oft am besten, wenn die Gemeinschaft für sich eine fröhliche Art der Bestattung entwickelt, mit einer Art Liturgie oder Abschlussritual." (S. 89)

 

Probleme bei der Gemeinschaftsbildung

"Eine Gemeinschaft kann nicht existieren, wenn die Mitglieder abhängig von einem Begleiter sind, der ihnen Vorträge hält oder ihre Last trägt." Der Wunsch der Mitglieder einer Gruppe "nach einer autoritären Figur" kann aber so stark sein, dass sie den Begleiter, der diese Rolle verweigert, "im übertragenen Sinne kreuzigen. (…) Im Training für Gemeinschaftsbegleiter sage ich immer wieder: 'Ihr müsst willens und fähig sein, für die Gruppe zu sterben.' Aber es gibt keine Worte, die auf die qualvolle Erfahrung der Herabsetzung durch eine Gruppe vorbereiten könnten, wenn ein Anführer sich weigert, den Übervater zu mimen." (S. 98-99)
Wenn sich eine Gruppe zur Leere hinbewegt, beginnen einige wenige ihre eigenen Schwächen mitzuteilen (…). Aber die anderen hören diesen Menschen im Allgemeinen nicht sehr aufmerksam zu. Entweder versuchen sie, die Gebrochenen zu heilen oder zu bekehren, oder aber sie ignorieren sie, indem sie schnell das Thema wechseln." Jene, "die sich verwundbar gemacht haben", tendieren dazu, "sich schnell wieder in ihre Schneckenhäuser zurückzuziehen. (…) Manchmal kommt die Gruppe von selbst darauf, dass sie Aussagen von Schmerzen und Leiden blockiert hat (…). Wenn sie das nicht tut, greife ich gezwungenermaßen ein und erkläre, dass sie das Mitteilen von Zerrissenheit verhindert." (S. 86)
"Risiko ist das zentrale Merkmal der Verwundbarkeit. (…) Alle haben wir Probleme, Unvollkommenheiten, Neurosen, Sünden, Misserfolge. Und der Versuch, die zu verbergen, ist eine Lüge. (…) Unsere Unvollkommenheit gehört zu den wenigen Dingen, die wir menschlichen Wesen alle gemeinsam haben." (S. 195-196)
Außerhalb authentischer Gemeinschaft  besteht in unserer Kultur allerdings durchaus "das Risiko, sich nicht an die Norm der angeblichen Unverletzlichkeit und Ganzheit zu halten". (S. 60)
"Wenn sie Gemeinschaft erreichen, verlieben sich die Menschen in Scharen ineinander, in sehr realem Sinn. Sie möchten sich nicht nur umarmen und berühren, sie möchten sich alle gleichzeitig umarmen. In den höchsten Momenten ist der Energiepegel übernatürlich. Er ist ekstatisch. (…) Große Kraft kann jedoch manchmal eine mögliche Gefahr bergen. Die Gefahr der Kraft wahrer Gemeinschaft ist niemals das Entstehen von Massenpsychose, sondern die aufkommende Gruppensexualität."
Es wird "enorme sexuelle Energie frei (…). Die Sexualität der Gemeinschaft ist ein Ausdruck ihrer Freude, und ihre Energie kann auf nützliche und schöpferische Ziele gelenkt werden." Manche Leute suchen jedoch in Gemeinschaften "wiederholt kurze Erlebnisse (…), als ob solche Episoden eine Art Droge wären. (…) Wir alle brauchen Momente der überschäumenden Freude in unserem Leben. Aber was mich selbst wiederholt in Gemeinschaft  zieht, ist mehr. Wenn ich mit einer Gruppe vom menschlichen Wesen verbunden bin, mit ihnen durch Qual und Freude der Gemeinschaft  zusammenhalte, habe ich eine Ahnung, dass ich an einem Zustand teilhabe, für den es nur ein Wort gibt. (…) Das Wort lautet Herrlichkeit[2]." (S. 90)
Gemeinschaften, die für längere Zeit zusammenbleiben, fallen oft ins Chaos oder sogar in die Pseudogemeinschaft zurück. Für solche Gemeinschaften "wird es nötig sein, sich erneut im Todeskampf leer zu machen. Viele Gruppen versagen hier. Z. B. haben sich viele Klöster, die sich selbst als Gemeinschaften bezeichnen, vor langer Zeit gestattet, starre autoritäre Organisationen zu werden. Als solche mögen sie weiterhin nützliche Rollen in der Gesellschaft ausfüllen, aber sie tun es ohne Freude und schaffen es nicht, ein sicherer Ort für ihre Mitglieder zu sein." In echten Gemeinschaften sind die Qualen "tatsächlich größer, aber auch die Freude". (S. 89)
"Der erworbene Gemeinschaftsgeist ist nicht beständig." Daher müssen sich Gruppen immer wieder fragen: "Wie geht es uns? (…) Sehen wir noch immer unser Ziel vor Augen? Sind wir eine gesunde Gruppe? (…) Gruppen, die nicht lernen, sich selbst und die Welt zu reflektieren, (werden sich) nicht zu Gemeinschaften entwickeln und sich rasch wieder auflösen". (S. 56-57)
Die dauerhafte Erhaltung von Gemeinschaften ist nicht möglich. "Selbst die geschicktesten Gruppen rutschen ständig hinein und hinaus aus Gemeinschaft." (S. 116)
"Wie für alle Lebewesen gibt es auch für den Organismus Gemeinschaft eine sinnvolle Lebensspanne. (…) Die Möglichkeit des Todes beschleunigt das Ableben nicht, sondern hilft einem vielmehr, voller zu leben. Eine Langzeitgemeinschaft, die regelmäßig der furchteinflößenden Aussicht auf ihren Tod ins Auge schaut, strebt dadurch entweder nach größerer Vitalität, mehr Schwung und Erneuerung, oder sie betreibt ihr Sterben auf effizientere und anmutigere Weise." (S. 136-137)
Es gibt "böse", destruktive Gruppenteilnehmer, die eine Gemeinschaft zerstören können. Die Gruppe kann sich dann zu einem zeitlich begrenzten Ausschluss entschließen. Mit dem Ausschluss sind aber unausweichlich Schuldgefühle verbunden, da "das oberste Prinzip von Gemeinschaft, nämlich einschließend zu sein, verletzt" wird. (S. 106-107)
Der Weiterbestand einer Gemeinschaft kann durch Feinbilder künstlich erreicht werden. "Feindbilder werden oft erzeugt, wenn eine Gruppe, die ihren guten Geist der Gemeinschaft verloren hat, versucht, ihn durch das Schaffen einer Bedrohung – eines Feindes – wiederzuerlangen, der sonst gar nicht existieren würde." (S. 138)

 

Einfluss der Gruppen-Theorie von Bion auf Peck

Wilfred Bion sah Gruppen als ein Organismus mit einem Eigenleben an. Nach Bion hat jede Gruppe – bewusst oder weniger bewusst – eine Aufgabe. Alle Gruppen würden früher oder später versuchen, ihre Aufgaben zu vermeiden. Dabei gebe es vier Strategien:
  • Flucht (bei Peck Pseudoharmonie)
  • Kampf (bei Peck Chaos: Versuche, sich gegenseitig zu therapieren)
  • Paarbildung (zwei freunden sich an und beschäftigen sich miteinander mehr als mit der Gruppe)
  • Abhängigkeit (vom Leiter, Begleiter, der die Verantwortung trägt).
Wenn der Gruppe ihre Aufgabenvermeidung bewusst wird, wechsle sie zu einer anderen Art der Vermeidung. Von "arbeitsfähigen Gruppen" spricht Bion, wenn sie frei von Vermeidungsmechanismen geworden sind. Nach Peck kann man eine Gemeinschaft  auch "arbeitsfähige Gruppe" nennen.
Bion sah drei Arten von Flucht         
  • Pseudoharmonie (langweilige Höflichkeit, Vermeidung von Chaos und Konfrontation mit umstrittenen Themen)
  • Organisation (Vermeidung von Leere z.B. durch Bildung von Untergruppen)
  • Ignorieren von Schmerz. (91-100)
Im Gegensatz zu den fruchtlosen Kämpfen, die der Aufgabenvermeidung dienen, "beinhalten die Kämpfe einer authentischen Gemeinschaft den kreativen Entleerungsprozess, der das Erreichen eines echten Konsenses ermöglicht". (S. 96)

 

Pecks vier Stufen der spirituellen Entwicklung

Nach Peck gibt es vier Stufen der spirituellen Entwicklung (S. 161-164):

Stufe I: Pseudogemeinschaft, Vortäuschung, Mangel an Prinzipien

Diese Stufe ist chaotisch und antisozial. Die Menschen auf dieser Stufe sind unfähig, zu lieben. Sie sind manipulativ und eigennützig und ohne Prinzipien.

Stufe II: dogmatisch, Versuch, einander zu dominieren

Diese Stufe ist formal und institutionell. Die Menschen auf dieser Stufe brauchen eine straff strukturierte Organisation: Kirche, Militär. Prinzipien- und Gesetzestreue. Sie wollen andere bekehren oder retten (S. 171). Die Vorstellung von Gott ist fast vollständig die eines äußeren, jenseitigen Wesens mit strafender Gewalt, eine Art "himmlischer Polizist".

Stufe III: Phase des Zweifels, Fragens und sich Leermachens

Diese Stufe ist skeptisch und individuell. Menschen auf dieser Stufe sind Atheisten, Agnostiker, aber "kein bisschen antisozial". Sie sind Wissenschaftler, Wahrheitssuchende, die in der Fülle ihres Wissens "kurze Blicke auf das große Bild (erhalten) und sehen, dass es in seiner Pracht jenen 'primitiven Mythen und dem Aberglauben' ihrer Stufe-II-Eltern oder -Großeltern erstaunlich ähnelt. In diesem Augenblick beginnen sie ihren Übergang zu Stufe IV." Nur wer tief genug zweifelt, eben auch am Zweifel selbst, kann zur Stufe IV gelangen.

Stufe IV: Zweifel an den Dogmen des Skeptizismus

Diese Stufe ist die der "mystischen Gemeinschaft". "Mystiker aller Religionen" haben "von Einheit gesprochen, von einer untergründigen Verbindung zwischen den Dingen: zwischen Männern und Frauen, zwischen uns und anderen Geschöpfen und sogar der 'unbelebten' Materie. … Sie lieben das Geheimnis im Gegensatz zu denen auf Stufe II, die einfache, klar umrissene dogmatische Strukturen brauchen und wenig Gefallen am Unbekannten und Unerkennbaren finden."

Die Beziehung der Stufen zueinander

"Während Männer und Frauen der Stufe IV religiös werden, um sich dem Mysterium zu nähern, tun es die Menschen der Stufe II häufig, um ihm zu entfliehen. So entsteht das Durcheinander von Menschen, die derselben Religion aus verschiedensten Motiven beitreten. Das ergibt nur Sinn, wenn wir den religiösen Pluralismus unter dem Gesichtspunkt der Entwicklungsstufen betrachten." Mystiker haben immer auch "von der Leere berichtet und geschwärmt". Viele leben in Gemeinschaften und "wissen, dass die ganze Welt eine Gemeinschaft ist. Der Mangel dieses Bewusstseins führt zu Trennung und Kriegen." (S. 164-165)
"Nur allzu leicht entsteht ein Gefühl der Bedrohung zwischen den Menschen verschiedener Stufen der religiösen Entwicklung. Meistens fühlen wir uns von Menschen der Stufe über uns bedroht. (…) Wenn Menschen uns einen Schritt voraus sind, bewundern wir sie für gewöhnlich. Wenn sie uns zwei Schritte voraus sind, denken wir gewöhnlich, dass sie gefährlich sind." Aus diesem Grund wurden Sokrates und Jesus getötet.
Ein Mensch der Stufe IV wird, "obwohl er selbst sehr fortgeschritten ist, nicht der beste Therapeut für viele sein". Stufe-II-Leute und -Programme bieten "die beste Therapie für Stufe-I-Leute. (…) Stufe-IV-Therapeuten können am besten höchst unabhängige Menschen zur Erkenntnis der mystischen Verflochtenheit dieser Welt führen. Die meisten von uns ziehen jemanden mit einer Hand hoch, während wir selbst an der anderen hochgezogen werden. (…) Eine Gruppe von nur Stufe-IV-Leuten (…) ist nicht so sehr eine Gemeinschaft wie einer Clique. Eine wahre Gemeinschaft wird wohl Menschen aller Stufen umschließen." (S. 166-167)
"Eine der größten Herausforderungen für die Kirche ist tatsächlich, wie sie die Umwandlung ihrer Mitglieder von Stufe II zu Stufe IV erleichtert, ohne dass sie ein ganzes Erwachsenenleben auf Stufe III zubringen müssen." (S. 167)
Wenn die "Teilnehmer in der Gemeinschaft gelernt haben, sich in Beziehung zueinander gemäß der Stufe IV zu verhalten", behalten sie "jedoch ihre ursprünglichen Identitäten der Stufen I, II, III oder IV". Es ist wichtig, "sich gegenseitig als auf verschiedenen Stufen stehend anzuerkennen. Solche Anerkennung ist eine Voraussetzung für Gemeinschaft (…) sie kann nur durch die Leere erreicht werden (…)." Ist sie aber einmal erreicht, besitzen alle, egal auf welcher Stufe sie stehen, "sich so zueinander zu verhalten, als ob sie auf Stufe IV stünden (…). Aus Liebe und Hingabe an das ganze sind wir alle fähig, unseren Hintergrund und unsere Begrenzungen zu überwinden. Deshalb ist authentische Gemeinschaft soviel mehr als die Summe ihrer Teile. Sie ist in Wahrheit ein mystisches Ganzes." Mit anderen Worten: Die Gruppe, die authentische Gemeinschaft wurde, bringt alle auf Stufe IV, was ein Mysterium ist. (S. 171-172)
Menschen auf Stufe III, die sich der Stufe IV nähern, entdecken Gesinnungsgenossen in aller Welt und die Möglichkeit, unabhängig von den eigenen Traditionen zu einer weltumfassenden Kultur zu gehören". Und: "Obwohl sie eine kleine Minderheit waren, haben die Mystiker aller Religionen eine verblüffende Einheitlichkeit bewiesen." (S. 173)

 

Gemeinschaft, Spiritualität, Mystik, Religion

"Vieles übersteigt unsere Persönlichkeit. Zum Beispiel Gott, das Gute, die Liebe, das Böse, der Tod, das Bewusstsein. (…) Auch Gemeinschaft ist ein solches Phänomen. Genau wie Elektrizität hat sie eine tiefe Gesetzmäßigkeit. Trotzdem wohnt ihr etwas Geheimnisvolles, Wunderbares, Unbegreifliches inne. Es gibt deshalb für echte Gemeinschaft keine hinreichende Definition in einem Satz." (S. 50)
Christliche Teilnehmer betrachten den "Gemeinschaftsgeist nicht als rein menschlichen Geist", sondern als einen Geist, der "wie der Heilige Geist über Jesus und seine Taufe kam in Form einer Taube" über eine Gruppe kommt. "Die Weisheit einer authentischen Gemeinschaft  erscheint oft wie ein Wunder." Ihr Entstehen führen christliche Intellektuelle auf "ein Zutun Gottes und des Heiligen Geistes" zurück. (S. 64-65)
"Obwohl sie eine kleine Minderheit waren, haben die Mystiker aller Religionen eine verblüffende Einheitlichkeit bewiesen." (S. 173) Mystiker haben immer "von der Leere berichtet und geschwärmt". Viele leben in Gemeinschaften und "wissen, dass die ganze Welt eine Gemeinschaft ist. Der Mangel dieses Bewusstseins führt zu Trennung und Kriegen." (S. 165)
Die Weiterentwicklung von einer Stufe zur nächst höheren Stufe des spirituellen Wachstums ist nicht allein unserer eigenen Anstrengung geschuldet. Die Transformation schaffen wir nicht aus eigener Kraft. Sie ist "eher ein Geschenk Gottes". Das bedeutet: "Wir müssen Gott die Lenkung überlassen." Selbst beim Übergang von Stufe II zu III hat Gott "seine Hand im Spiel". (S. 170)
"Wir können nicht heil werden ohne die Bereitschaft, vorher verletzt zu werden. Wenn Jesus, der Heiland, uns etwas lehrt, dann dass der Weg zur Errettung durch die Verwundbarkeit führt. Die Theologin Dorothee Sölle spricht von Jesus "als der einseitigen Abrüstung Gottes". (S. 192-193)
196 Christen verehren einen Gott, "der in paradoxer Schwäche die Welt regiert".
Gemeinschaft "bezieht uns Menschen ein in einen lebendigen mystischen Körper". (S. 199)
Wahre Religion ist einschließend, integrierend. Falsche Religion ist einseitig und versagt dabei, "das Ganze zu integrieren". (S. 204)
Es gibt "keinen Glauben, keine Theologie – wie falsch, unvollständig oder ketzerisch sie auch sein mag – die nicht in die Einschließlichkeit wahrer Gemeinschaft aufgenommen werden könnte. Deshalb ist der Versuch, Einzelne auszuschließen wegen ihrer Überzeugung – mag diese auch noch so einfältig oder primitiv sein – immer destruktiv für eine Gemeinschaft. (…) Die Verfolgung von Ketzern ist immer selbst Ketzerei."
Echte Religion zeigt sich im Handeln: "Das Bekenntnis zu einem religiösen Glauben ist eine Lüge, wenn es nicht in signifikanter Weise das ökonomische, politische und soziale Verhalten seiner Anhänger mitbestimmt." (S. 209)

 

Kontemplation, Meditation und Gebet

"Das Ziel von Kontemplation ist gesteigertes Bewusstsein der Welt außerhalb von einem Selbst, der inneren Welt und der Beziehung zwischen den beiden." (S. 56)
Die Leere, z.B. in der Meditation, ist "Mittel zum Zweck". Ihr Wert ist, "dass was immer in die Leere einzieht, jenseits unserer Kontrolle ist. Es ist das Unvorhergesehene, das Unerwartete, das Neue." Ein kontemplativer Lebensstil ist "einem Maximum an Wachheit gewidmet". Der Theologe Matthew Fox definierte das Gebet "als radikale Antwort auf das Leben". (S. 179)
Ein kontemplativer Mensch stellt "immer wieder Fragen an das Leben" und ist "offen und ehrlich genug", um "die Antwort des Lebens zu hören und über die Bedeutung nachzudenken". Mitglieder von Gemeinschaften müssen kontemplativ sein, Vertrautes zum Schweigen bringen und Fremdartiges willkommen heißen. Leere schafft Raum für das Andere. (S. 180)

 

Zwei Beispiele für Gemeinschaften

St. Aloysius-Orden

Der St. Aloysius-Orden in Illinois "ist kein normaler Orden. Er zeigt, wie bestehende Gemeinschaften sich gründen und immer wieder erneuern müssen zurückzuführen, indem sie aktuelle Entwicklungen einbeziehen, auf dass sie lebendig bleiben." Der Orden "ist eine sehr intensive Gesellschaftsform. Das Leben der Mitglieder ist eng miteinander verknüpft mit einem hohen Grad an zwischenmenschlicher Aktivität. Der Orden hat sich für ein sehr geringes Maß an autoritärer Struktur in seiner Organisation und Führung entschieden."
Der Erfolg des Ordens beruht auf
  1. Bestehen auf Konsensentscheidungen (hierarchisch unstrukturiert)
  2. Strenge und straffe Organisation
  3. Humor. (S. 126)

Kellergruppe

Die Kellergruppe wurde initiiert durch zwei Geistliche und einen christlichen Psychologen. Die Regeln waren: Sich verletzlich zeigen, offen Zuhören, Aussprechen, was woanders nicht gesagt werden kann, kein Urteil, keine Geheimnisse, gegenseitige Unterstützung, kein Alkohol und Schweigeritual am Anfang. Die Kellergruppe hat sich "sorgfältig auf eine einzige Aufgabe beschränkt: gegenseitige Unterstützung". Es gilt: "Unser Sinn ist zu lieben, nicht zu heilen." Es "wird viel gelacht während der zweistündigen Sitzungen, und viele haben ihre Mitgliedschaft als heilend empfunden."
Es gibt eine Testphase für Unentschiedene (Unstete): "Es wurde erkannt, dass manche Menschen für sich eine Testphase brauchten, ehe sie sich verbindlich engagieren konnten, und dass, solange es einen starken Kern Engagierter gab, die Gruppe als Ganzes die Last der Unentschiedenen tragen konnte." (S. 128-136)

 

Zwei Geschichten

Im Buch gibt es zwei hervorstechende Geschichten. Hier ganz kurz der Inhalt:

Geschenk des Rabbis

Ein Abt fragt einen sterbenden Rabbi um Rat, wie er seinen sterbenden Orden retten könnte. Der Rabbi hat keinen Rat. "Das Einzige, was ich euch sagen kann, ist, dass der Messias einer von euch ist." (S. 13)

Der Rabbi, der sich im Wald verirrt hat

Ein Rabbi hat sich im Wald verirrt und trifft auf eine Gruppe aus seiner Synagoge, die sich ebenfalls verirrt hat. Überfroh hofft die Gruppe, dass der Rabbi sie aus dem Wald führen wird. Der Rabbi sagt: "Ich habe mich genauso verirrt wie ihr. Aber ich habe mehr Erfahrung im Verirrtsein und kann euch 1000 Wege sagen, die nicht aus dem Wald herausführen. Mit dieser schwachen Hilfe finden wir vielleicht, wenn wir zusammenarbeiten, unseren Weg gemeinsam." (S. 99)

 

Zusammenfassung und kritische Würdigung

Ich möchte die für mich wesentlichen Botschaften des Buches in meinen eigenen Worten kurz zusammenfassen: Laut Peck ist echte Gemeinschaft der Ort, wo niemand mehr versucht, dich zu verändern, dich in Ordnung zu bringen oder zu heilen. Du kannst dich viel mehr als in der Alltagswelt so zeigen, wie du wirklich bist und dich fühlst. Du darfst anders sein und anders denken als die anderen. Und du darfst, ja du sollst sogar deine Schwächen und Verletzlichkeiten zeigen. Du darfst darauf hoffen, dass du für deine Offenheit geschätzt wirst und dass sie nicht gegen dich verwendet wird.
Natürlich verlangt Gemeinschaft auch viel von dir. Du musst dich üben in Toleranz, Wertschätzung des Anders- und Fremdartigen. Du musst dich mit deinen Schattenthemen auseinandersetzen und kannst sie nicht mehr in den anderen bekämpfen. Vor allem aber verlangt Gemeinschaft Verbindlichkeit, "commitment", einen hohen Einsatz an Zeit, Energie und Veränderungsbereitschaft.
Es geht im Gemeinschaftsbildungsprozess – insbesondere in der Chaosphase – ganz wesentlich darum, dass alle Gruppenmitglieder zusammen eine grundlegende gemeinsame Erfahrung machen: die Erfahrung und Erkenntnis, dass die eigenen bisher bewährten Muster des Denkens und Handelns und alle gewohnten Therapien, Lösungsstrategien und Kontrollmechanismen völlig versagen, wenn eine oder einer sie als Rezept für alle anderen Teilnehmer und für alle Probleme, die in der Gruppe auftauchen, anwenden will. Wir können uns nicht gegenseitig reparieren.
Aus dieser Erfahrung und Einsicht heraus hat die Gruppe die Chance, in die überaus wichtige Phase der Leere einzutreten. Wenn diese Phase gelingt, geben alle Mitglieder nach und nach ihre Versuche auf, mit den eigenen Konzepten die Probleme der anderen oder der Gruppe zu lösen. Dieses Aufgeben wird zu Beginn oft schmerzlich, beunruhigend oder bedrückend erlebt. Es ist aber alles andere als ein resignativer Vorgang. Es ist ein Augenblick der Stille und des Friedens.
Es öffnet sich ein leerer Raum, in dem eine völlig neue Erfahrungsqualität von menschlichem Miteinander möglich ist: eine Group of all Leaders, eine Gruppe mit fließender Führung,  in der es die, die üblicherweise führen, genießen, nicht alles kontrollieren und verantworten zu müssen. Und in der die, die sich üblicherweise zurückhalten, in Kontakt mit ihren verborgenen Führungsqualitäten kommen.
Echte Gemeinschaft im Sinne von Peck ist erkennbar daran, dass die Mitglieder einander wirklich zuhören. Sie können unterschiedlicher Meinung sein, sie können Konflikte austragen, sie können miteinander ringen, aber nicht um die eigene Position durchzusetzen, nicht um zu gewinnen, nicht um zu dominieren. Peck spricht von einem "liebenden Kampf" mit dem Ziel, Konsens und gute Lösungen für alle zu erzielen. Das Ziel von Gemeinschaft ist Friede und Liebe. Gemeinschaft steht für das Gute und richtet sich nicht gegen das Schlechte.
Das hört sich alles recht sozialutopisch an. Aber Peck verheimlicht nicht die zahlreichen Schwierigkeiten, Hürden und Rückschläge im Prozess der Gemeinschaftsbildung und auch nicht die enorme Last, die auf den Begleitern liegt, die sich nicht dazu hinreißen lassen, Vorturner für die Gruppe zu spielen. Gemeinschaftsbildung kann auch scheitern. Und sie scheitert immer wieder. Und selbst gelungene Gemeinschaftsbildung nutzt sich ab. Sie muss immer wieder erneuert werden, indem eine Gruppe Phasen des Chaos und der Leere erneut durchlebt und durchleidet. Jede Gemeinschaft hat ihre Zeit und ihr Ende. Echte Gemeinschaft im Sinne von Peck zielt gerade nicht auf unbegrenzte Dauer, die nach seiner Meinung nur durch erstarrende Organisation und hierarchische Strukturen erreichbar ist. Es ist besser, eine Gemeinschaft stirbt, als dass sie – wie es oft passiert – ein Feindbild aufbaut und/oder unlebendig wird.
Für Menschen, die in Gemeinschaft leben wollen, ist das Buch von Peck lesenswert. Es enthält viele interessante Ansätze. Diese sind aber in keiner Weise empirisch geprüft. Bei genauem Hinsehen enthält das Buch etliche Glaubenssätze, die sich mit meinen eigenen (natürlich sehr subjektiven) Gemeinschaftserfahrungen nicht decken. Ich habe mehrere Gemeinschaften erlebt, in denen der Wir-Prozess nach Peck in geradezu missbräuchlicher Weise Anwendung fand. Ich habe ihn aber auch in vorbildlicher Weise begleitet gesehen. 
Insbesondere die Kommunikationsregeln von Peck kann ich persönlich durchaus empfehlen, sofern sie von der dahinter stehenden Ideologie abgekoppelt werden.





[1] Original 1987: "The Different Drum - Community Making and Peace".
[2] englisch: glory
[3] Ich habe mich sehr intensiv mit dem Thema des Bewusstseins beschäftigt und auch ein Buch darüber geschrieben. Mehr Information unter: bewusstsein-unbewusstes.blogspot.de