Der Weg zu authentischer Gemeinschaft
In dem Buch "Gemeinschaftsbildung"
von Scott Peck geht es darum, wie Gruppen von Menschen zu "echten
Gemeinschaften" heranreifen können. Zur raschen Orientierung über die
wichtigsten Inhalte und zum besseren Verständnis des recht komplexen Textes habe
ich meine Buchbesprechung so gegliedert, dass eine Reihe von zentralen Fragen beantwortet
werden. Zu diesem Zweck weiche ich von der Reihenfolge der Inhalte im Buch ab,
das die Fragen z.T. an ganz verschiedenen Stellen beantwortet und sich z.T.
auch wiederholt. Ich war aber bemüht, den Text von Peck möglichst unverfälscht
und überwiegend in Form von wörtlichen Zitaten mit Angabe der Seitenzahlen wiederzugeben.
Erst am Ende nehme ich in meinen eigenen Worten eine Zusammenfassung und persönliche
Würdigung des Werkes vor.
Für eilige Leser empfehle ich, zuerst die Zusammenfassung am
Ende zu lesen.
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Gemeinschaftsbildung nach Scott Peck
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Fragen, auf die das Buch Antworten gibt
Was
ist für Peck "echte Gemeinschaft"?
Laut Peck ist eine
"authentische Gemeinschaft (…) ein sicherer Platz", wo "niemand
versucht, dich zu verändern, in Ordnung zu bringen". Die üblichen "Schutzmechanismen und Widerstände (sind)
nicht länger notwendig", weil die Mitglieder echter Gemeinschaften damit
aufgehört haben, "sich gegenseitig heilen und umkrempeln zu wollen. (…) Du
bist frei, du selbst zu sein! Und weil du frei bist, brauchst du keine
Verteidigungsmechanismen mehr, keine Masken, keine Verkleidungen. (…). Du bist
frei, dein eigenes, ganzes, heiliges Selbst zu werden." (S. 58)
In echten
Gemeinschaften geht es nach Peck darum, "kulturelle und religiöse Unterschiede
schätzen zu lernen, sogar zu feiern, und versöhnt mit einer pluralistischen
Welt zu leben". (S. 18) Denn wir seien dazu geschaffen, "als Einzelne
einmalig zu sein. Wir sind jedoch auch soziale Wesen, die sich gegenseitig
nötig brauchen, (…) damit unser Leben sinnvoll ist. Das sind die Widersprüche,
aus deren Überbrückung Gemeinschaft wachsen kann." (S. 46)
Laut Peck brauchen
wir dringend eine neue Ethik des "sanften Individualismus". Wir
können nicht wirklich wir selbst sein, "ehe wir nicht frei das miteinander
teilen, was uns gemeinsam ist: unsere Schwäche, unsere Unvollkommenheit, (…)
unsere Sünden, unseren Mangel an Ganzheit und Unabhängigkeit." (S. 49) Bei
den Anonymen Alkoholikern heißt es: "Ich bin nicht ok, du bist nicht ok,
aber das ist ok." Und: "Die einzige Person, die ich ändern kann, bin
ich selbst."
Gemeinschaft in
Pecks Sinn ist und muss einschließend sein. Der große Feind von Gemeinschaft
ist das Ausschließen. "Gruppen, die andere ausschließen, (…) sind eben
keine Gemeinschaften. Sie sind Cliquen – in der Tat defensive Bastionen gegen Gemeinschaft."
(S. 51-52)
In Gemeinschaft
dürfe es keinen "Druck zum Konformismus" geben. "Der Wille zu
Einschließlichkeit (…) bezieht sich auf alle Bereiche." Menschliche
Unterschiede werden "nicht ignoriert, verleugnet, versteckt oder
verändert, sondern sie werden geschätzt." Idealerweise "wird
Entfremdung in Wertschätzung und Versöhnung verwandelt". Es gibt "einen
Wunsch nach Ganzheit. Das ist nicht nur eine Frage der Geschlechter, Rassen und
Glaubensrichtungen. Die Ganzheit bezieht sich auch auf das ganze Spektrum menschlicher
Emotionen. Tränen sind ebenso willkommen wie Lachen, Angst ebenso wie
Vertrauen." (S. 52-53)
Peck weiter: "In
jeder authentischen Gemeinschaft werden Entscheidungen durch Konsens getroffen,
also einstimmig. (…) Mobbing-Mentalität kann nicht gedeihen in einer Umgebung,
in der sich jeder frei ausdrücken und sich dem allgemeinen Trend widersetzen kann."
(S. 53-54)
In einer wirklichen
Gemeinschaft haben alle "Waffen und Rüstung abgelegt", alle sind
"gut im Zuhören und Verstehen geworden". Sie "feiern" ihre
Unterschiedlichkeiten und verbinden "sich gegenseitig ihre Wunden".
Sie haben sich vorgenommen, "miteinander zu kämpfen anstatt
gegeneinander". In einer authentischen Gemeinschaft "gibt es keine
Parteibildung". Es gibt durchaus Konflikte. "Es ist aber ein Ort, wo
Konflikte ohne körperliches oder emotionales Blutvergießen ausgetragen werden,
in Weisheit und Anmut." (S. 60-61)
Echte Gemeinschaft
ist eine "Group of all Leaders": Ein "Charakteristikum von
wirklicher Gemeinschaft ist die totale
Dezentralisierung von Autorität" (…). Ihre Beschlüsse werden im Konsens
erreicht." Alle leiten. Zwanghafte Führer fühlen sich "oft zum ersten
Mal in ihrem Leben frei, nicht führen zu wollen". Schüchterne "fühlen
sich frei, ihre latent vorhandenen Führungsgaben in die Gruppe
einzubringen". Es entwickelt sich eine "fließende Führung".
(S.61-62)
"Der Geist
echter Gemeinschaft ist der Geist des
Friedens. (…) Eine ganz neue Art von Ruhe zieht ein. (…) Schweigen ist
willkommen. Es fühlt sich ruhig an. Nichts ist anstrengend. Das Chaos hat ein
Ende. Es ist, als wäre Lärm durch Musik ersetzt worden. Die Menschen lauschen und
können hören. Alles ist friedlich." Der Kampf ist "ein liebender
Kampf". Selbst atheistische Teilnehmer berichten "von
gemeinschaftsbildenden Workshops als spiritueller Erfahrung". (S. 63)
Bevor sich eine
Gruppe der Problemlösung widmet, sollte sie erst einmal zur Gemeinschaft
geworden
sein. (S. 89)
Was braucht es, damit Gruppen zu Gemeinschaften werden?
Gemeinschaften
brauchen – so Peck – v.a. "Verbindlichkeit", und zwar "bezogen
auf das 'Zusammenleben-Wollen'. Früher
oder später – je früher desto besser – müssen sich die Mitglieder einer Gruppe
füreinander entscheiden, wenn die eine Gemeinschaft werden oder bleiben
wollen." Es sei ähnlich wie in der Ehe: "Unser Individualismus muss
durch Verbindlichkeit ausgeglichen werden. Wenn wir durchhalten, merken wir oft
nach einer Weile, dass sich nach dem Sturm die Wogen geglättet haben." (S.
52-53)
Die Hauptregel
lautet: "Du kannst nicht aussteigen." Es geht um eine verbindliche
Zusage, auch einen schmerzhaften Prozess durchzustehen. "Jeder von uns ist
verantwortlich für den Erfolg unseres Prozesses. Wenn du unzufrieden bist, wie
die Dinge laufen – und das wirst du sein – ist es deine Verantwortung zu
sprechen und deine Unzufriedenheit auszudrücken, anstatt deine Sachen zu packen
und leise abzuhauen." Nach Pecks Erfahrung "bricht etwa einer von
dreißig Teilnehmern diese Vereinbarung". (S. 109-110)
Gemeinschaft
verlangt "das Geständnis von Gebrochenheit. (…) Wie seltsam, dass wir
normalerweise den Drang fühlen, unsere Wunden zu verbergen, wo doch jeder
Mensch Verletzungen in sich trägt! (…) In unseren Wunden ist Schmerz. Doch noch
wichtiger ist die Liebe, die zwischen uns erfahrbar wird, wenn wir
Verletzlichkeit zeigen und in anderen sehen." (S. 59)
Beim "ersten
Auftreten von Verletzlichkeit" werden einem "recht wahrscheinlich
Angst, Feinseligkeit oder übereilte Therapieversuche entgegengebracht, was nur
den Allermutigsten unter uns nicht dazu treibt, sich hinter ihre Mauern
zurückzuziehen. (…) Es kostet eine
Gruppe von Unbekannten viel Arbeit, bis sie die Sicherheit echter Gemeinschaft fühlt. Aber wenn dies gelingt, öffnen sich
sozusagen die Schleusentore. Sobald die Menschen aus vollem Herzen sprechen
können, sobald die meisten Mitglieder wissen, dass man ihnen zuhört und dass
sie um ihrer selbst willen akzeptiert werden, ergießen sich jahrelang
angestaute Frustration, Verletztheit, Schmerz, Schuld und Trauer nach außen.
Und dieser Prozess beschleunigt sich mehr und mehr." (S. 57)
Nicht jeder muss
reden, auch nonverbales Verhalten sagt viel. Schweigende Teilnehmer können der
Gruppe viel Kraft geben und von ihr Kraft bekommen. Der Begleiter muss auf
emotional zurückgezogene Teilnehmer aufmerksam machen. (S. 108)
"Diese
vier Phasen sind der Reihe nach:
- Pseudogemeinschaft
- Chaos
- Leere
- Gemeinschaft"
(S. 73)
"In der Pseudogemeinschaft
versucht eine Gruppe, Gemeinschaft ohne große Anstrengung durch Verstellung zu
gewinnen". Die Menschen wollen liebevoll sein, "indem sie kleine,
'harmlose' Lügen sagen, indem sie einiges an Wahrheit über sich selbst und ihre
Gefühle zurückhalten, um Konflikt zu vermeiden". (S. 75)
"Das Chaos
entsteht immer durch gut gemeinte, aber unangebrachte Versuche, zzu heilen oder
den anderen zu ändern. (…) Hinter Heilungs- und Missionierungsversuchen steckt
nicht so sehr Liebe, sondern das Motiv, befremdliche Ansichten anderer zu glätten
oder andere durch vermeintlich stärkere Argumente zu besiegen." Das
Kämpfen und Ringen "ist laut und unkreativ, nicht zielgerichtet". Es
treten "Zweitleiter" auf, "die den eigentlichen Leiter ersetzen
wollen. (…) Was sie vorschlagen, ist praktisch immer eine Flucht in die
Planung. Es ist wahr, dass Planung das Chaos auflöst. (…) Nur leider sind
Organisation und Gemeinschaft (…) unvereinbar." (S. 77-79)
"Gemeinschaft
fordert von mir als Begleiter die aufrichtige Bereitschaft, in einen Zustand
von Hilflosigkeit einzutreten. Sie verlangt, dass ich mich leer mache von
meinem Bedürfnis, zu reden, meinem Bedürfnis, die ganze Zeit zu helfen, meinem
Bedürfnis, ein Guru zu sein, von meinem Wunsch, ein Held zu sein, meinem
schnellen und einfachen Antworten, meinen ach so geliebten Denkmustern. Nur
dann kann eine Gruppe den Weg in die Leere beschreiten, wenn ihr Begleiter in
der Lage ist, Leere zu praktizieren."
Die generelle Regel für Begleiter ist,
dass sie "ihre Eingriffe auf Interpretationen des Gruppenverhaltens
beschränken und nicht auf individuelles Verhalten eingehen". Es geht nicht
darum, "der Gruppe zu sagen, was sie tun und was sie nicht tun soll,
sondern das Bewusstsein über ihr Verhalten zu wecken". Hier einige Beispiele für Interventionen:
- "Das ganze Chaos scheint sich
um Versuche zu drehen, einander zu verändern."
- "Es scheint mir, als wenn die
jüngeren und die älteren Mitglieder sich selbst in verschiedene Fraktionen
aufspalten."
- "Die Gruppe scheint immer
dann das Thema zu wechseln, wenn jemand etwas Schmerzhaftes sagt, als ob
wir es nicht hören wollen, wenn jemand leidet."
- "Ich frage mich, ob die
gruppe sich nicht zunächst leer machen muss bezüglich ihres Ärgers wegen
meiner schwachen Führung, bevor wir eine Gemeinschaft werden können."
Man bringt den
Mitgliedern so bei, "für die Gruppe als Ganzes zu denken". (S. 99-101)
Es führt nur ein
Weg aus dem Chaos in echte Gemeinschaft: Leere und Stille. "Erst wenn wir
uns von Erwartungen leer machen und nicht mehr versuchen, andere und unsere
Beziehungen zu ihnen in vorgefertigte Formen zu pressen, können wir unvoreingenommen
zuhören und wirkliche Erfahrungen machen." (S. 80-81)
"Meist ist
der größte Liebesdienst, den wir einem leidenden Freund erweisen können, dieses
Leid zu teilen – einfach da zu sein, sogar wenn wir nichts anzubieten haben außer
unserer Gegenwart und sogar, wenn das Dabeisein für uns selbst schmerzlich
ist."
Im Zustand der
Leere realisieren die Gruppenmitglieder, "dass ihr Wunsch zu heilen, zu
bekehren oder in anderer Weise ihre zwischenmenschlichen Unterschiede zu
'lösen', ein egozentrischer Wunsch ist. Nämlich der nach Bequemlichkeit durch
Gleichmacherei, durch Einebnung dieser Unterschiede." (S. 83)
Es empfiehlt sich,
Pausen zu machen, damit sich die Teilnehmer "während dieser Zeit von ihren
Lösungen genügend leer machen können, damit wir einander wenigsten als unterschiedliche
menschliche Wesen anerkennen können". Die Aufgabe an die Gruppenmitglieder
ist, "sich in der Stille zu überlegen – während einer Pause oder über
Nacht – wovon sie sich am dringendsten frei machen müssen".
In der Phase der
Leere ist es typisch, dass der Leiter Angst hat, schlecht dazustehen, wenn der
Workshop misslingt. "Aber das gewünschte Ergebnis – Gemeinschaft – kann
nicht von einem autoritären Leiter erreicht werden. Es muss eine Schöpfung der
Gruppe sein." Daher ist der Versuchung zu widerstehen, durch Kontrolle,
Manipulation oder Manöver das gewünschte Ergebnis zu sichern. Ein
wirkungsvoller Begleiter lehnt sich die meiste Zeit zurück, tut nichts, wartet
und lässt geschehen. (S. 83-84)
Das "Aufgeben
von Haltungen und Gewohnheiten ist ein großes Opfer. Folglich ist die Phase der Leere in der
Gemeinschaftsentwicklung eine Zeit des Opferns. (…) Solch ein Opfer schmerzt, weil es eine
Art Tod ist, die Art von Tod, die notwendig ist für eine Wiedergeburt."
(S. 85)
"Die
Umwandlung einer Gruppe von einer Ansammlung von Individuen in authentische
Gemeinschaft erfordert kleine Tode bei vielen dieser Individuen. Aber es ist auch ein Prozess des Sterbens der Gruppe, des
Gruppentods. (…) Die ganze Gruppe scheint sich in ihrer Qual zu winden und zu
stöhnen. (…) Unter
bestimmten Umständen sind wir Menschen auf einer immateriellen, doch sehr
realen Ebene im Stande, füreinander zu sterben." (S. 87)
"Wenn der Tod
der Gruppe vollbracht ist, wird sie – offen und leer – eine Gemeinschaft. In dieser abschließenden Phase senkt sich eine sanfte Ruhe
auf sie herab. Es herrscht Frieden. (…) Die Gruppe ist jetzt sehr offen und
verletzbar." Bei Stille "besteht kein Unbehagen". Man
"spricht sehr tief, sehr persönlich über sich selbst" (…) Es wird
viel Traurigkeit und Kummer ausgesprochen; aber es wird auch viel Lachen und
Freude geben. Ebenso
wie Tränen und Überfluss." (S. 88)
Das Ziel von
Gemeinschaft ist Friede und Liebe. Daher müssen authentische Gemeinschaften
"für das Gute stehen und nicht gegen das Schlechte sein". Es ist
besser, die Gemeinschaft stirbt, als ein Feindbild aufzubauen. (S. 139)
Die Größe von
Pecks Gruppen bei Gemeinschaftsbildungsworkshops ging von 25 bis 65 Teilnehmer.
"Das obere Limit wurde dadurch gesetzt, dass das die größte Gruppe ist,
die noch einen überschaubaren Kreis bilden kann." Nach Pecks Erfahrung
"reichen zwei Tage für eine Gruppe von 30 bis 60 Teilnehmer aus, um zu
einer echten Gemeinschaft zu
werden".
Gemeinschaft kann auch in wenigen Stunden entstehen,
"wenn die Gruppe vorher instruiert wird:
- Allgemeinplätze wegzulassen
- in Ich-Botschaften zu sprechen
- sich verletzlich zu zeigen
- nicht zu versuchen, zu heilen oder
zu bekehren
- sich zu leeren
- mit dem ganzen Wesen zuzuhören und
- sowohl das Schmerzliche als auch
das Angenehme willkommen zu heißen".
Allerdings ist die
Glückserfahrung größer, wenn zur Gemeinschaftsbildung mehr Mühe aufgewendet
werden musste als bei einer Kurzversion. (S. 107-109)
"Es ist
wichtig für Kurzzeitgemeinschaften, sich zum Beenden Zeit zu lassen. Das gelingt
oft am besten, wenn die Gemeinschaft für sich eine fröhliche Art der Bestattung
entwickelt, mit einer Art Liturgie oder Abschlussritual." (S. 89)
Probleme bei der Gemeinschaftsbildung
"Eine
Gemeinschaft kann nicht existieren, wenn die Mitglieder abhängig von einem Begleiter
sind, der ihnen Vorträge hält oder ihre Last trägt." Der Wunsch der
Mitglieder einer Gruppe "nach einer autoritären Figur" kann aber so
stark sein, dass sie den Begleiter, der diese Rolle verweigert, "im
übertragenen Sinne kreuzigen. (…) Im Training für Gemeinschaftsbegleiter sage
ich immer wieder: 'Ihr müsst willens und fähig sein, für die Gruppe zu
sterben.' Aber es gibt keine Worte, die auf die qualvolle Erfahrung der Herabsetzung
durch eine Gruppe vorbereiten könnten, wenn ein Anführer sich weigert, den
Übervater zu mimen." (S. 98-99)
Wenn sich eine
Gruppe zur Leere hinbewegt, beginnen einige wenige ihre eigenen Schwächen
mitzuteilen (…). Aber die anderen hören diesen Menschen im Allgemeinen nicht
sehr aufmerksam zu. Entweder versuchen sie, die Gebrochenen zu heilen oder zu
bekehren, oder aber sie ignorieren sie, indem sie schnell das Thema
wechseln." Jene, "die sich verwundbar gemacht haben", tendieren
dazu, "sich schnell wieder in ihre Schneckenhäuser zurückzuziehen. (…)
Manchmal kommt die Gruppe von selbst darauf, dass sie Aussagen von Schmerzen
und Leiden blockiert hat (…). Wenn sie das nicht tut, greife ich
gezwungenermaßen ein und erkläre, dass sie das Mitteilen von Zerrissenheit
verhindert." (S. 86)
"Risiko ist
das zentrale Merkmal der Verwundbarkeit. (…) Alle haben wir Probleme, Unvollkommenheiten,
Neurosen, Sünden, Misserfolge. Und der Versuch, die zu verbergen, ist eine
Lüge. (…) Unsere Unvollkommenheit gehört zu den wenigen Dingen, die wir
menschlichen Wesen alle gemeinsam haben." (S. 195-196)
Außerhalb
authentischer Gemeinschaft besteht in
unserer Kultur allerdings durchaus "das Risiko, sich nicht an die Norm der
angeblichen Unverletzlichkeit und Ganzheit zu halten". (S. 60)
"Wenn sie
Gemeinschaft erreichen, verlieben sich die Menschen in Scharen ineinander, in
sehr realem Sinn. Sie möchten sich nicht
nur umarmen und berühren, sie möchten sich alle gleichzeitig umarmen. In den
höchsten Momenten ist der Energiepegel übernatürlich. Er ist ekstatisch. (…) Große Kraft kann jedoch manchmal
eine mögliche Gefahr bergen. Die Gefahr der Kraft wahrer Gemeinschaft ist
niemals das Entstehen von Massenpsychose, sondern die aufkommende
Gruppensexualität."
Es wird
"enorme sexuelle Energie frei (…). Die Sexualität der Gemeinschaft ist ein
Ausdruck ihrer Freude, und ihre Energie kann auf nützliche und schöpferische
Ziele gelenkt werden." Manche Leute suchen jedoch in Gemeinschaften
"wiederholt kurze Erlebnisse (…), als ob solche Episoden eine Art Droge
wären. (…) Wir alle
brauchen Momente der überschäumenden Freude in unserem Leben. Aber was mich
selbst wiederholt in Gemeinschaft zieht,
ist mehr. Wenn ich mit einer Gruppe vom menschlichen Wesen verbunden bin, mit
ihnen durch Qual und Freude der Gemeinschaft
zusammenhalte, habe ich eine Ahnung, dass ich an einem Zustand teilhabe,
für den es nur ein Wort gibt. (…)
Das Wort lautet Herrlichkeit." (S. 90)
Gemeinschaften,
die für längere Zeit zusammenbleiben, fallen oft ins Chaos oder sogar in die
Pseudogemeinschaft zurück. Für solche Gemeinschaften "wird es nötig sein,
sich erneut im Todeskampf leer zu machen. Viele Gruppen versagen hier. Z. B.
haben sich viele Klöster, die sich selbst als Gemeinschaften bezeichnen, vor
langer Zeit gestattet, starre autoritäre Organisationen zu werden. Als solche
mögen sie weiterhin nützliche Rollen in der Gesellschaft ausfüllen, aber sie
tun es ohne Freude und schaffen es nicht, ein sicherer Ort für ihre Mitglieder
zu sein." In echten Gemeinschaften sind die Qualen "tatsächlich
größer, aber auch die Freude". (S. 89)
"Der
erworbene Gemeinschaftsgeist ist nicht beständig." Daher müssen sich
Gruppen immer wieder fragen: "Wie geht es uns? (…) Sehen wir noch immer
unser Ziel vor Augen? Sind wir eine gesunde Gruppe? (…) Gruppen, die nicht
lernen, sich selbst und die Welt zu reflektieren, (werden sich) nicht zu
Gemeinschaften entwickeln und sich rasch wieder auflösen". (S. 56-57)
Die dauerhafte
Erhaltung von Gemeinschaften ist nicht möglich. "Selbst die geschicktesten
Gruppen rutschen ständig hinein und hinaus aus Gemeinschaft." (S. 116)
"Wie für alle
Lebewesen gibt es auch für den Organismus Gemeinschaft eine sinnvolle
Lebensspanne. (…) Die Möglichkeit des Todes beschleunigt das Ableben nicht,
sondern hilft einem vielmehr, voller zu leben. Eine Langzeitgemeinschaft, die
regelmäßig der furchteinflößenden Aussicht auf ihren Tod ins Auge schaut,
strebt dadurch entweder nach größerer Vitalität, mehr Schwung und Erneuerung,
oder sie betreibt ihr Sterben auf effizientere und anmutigere Weise." (S. 136-137)
Es gibt
"böse", destruktive Gruppenteilnehmer, die eine Gemeinschaft
zerstören können. Die Gruppe kann sich dann zu einem zeitlich begrenzten
Ausschluss entschließen. Mit dem Ausschluss sind aber unausweichlich
Schuldgefühle verbunden, da "das oberste Prinzip von Gemeinschaft, nämlich
einschließend zu sein, verletzt" wird. (S. 106-107)
Der Weiterbestand
einer Gemeinschaft kann durch Feinbilder künstlich erreicht werden.
"Feindbilder werden oft erzeugt, wenn eine Gruppe, die ihren guten Geist
der Gemeinschaft verloren hat, versucht, ihn durch das Schaffen einer Bedrohung
– eines Feindes – wiederzuerlangen, der sonst gar nicht existieren würde."
(S. 138)
Einfluss der Gruppen-Theorie von Bion auf Peck
Wilfred Bion sah Gruppen als ein
Organismus mit einem Eigenleben an. Nach Bion hat jede Gruppe – bewusst oder
weniger bewusst – eine Aufgabe. Alle Gruppen würden früher oder später
versuchen, ihre Aufgaben zu vermeiden. Dabei gebe es vier Strategien:
- Flucht (bei Peck Pseudoharmonie)
- Kampf (bei Peck Chaos: Versuche,
sich gegenseitig zu therapieren)
- Paarbildung (zwei freunden sich an
und beschäftigen sich miteinander mehr als mit der Gruppe)
- Abhängigkeit (vom Leiter, Begleiter, der die
Verantwortung trägt).
Wenn der Gruppe
ihre Aufgabenvermeidung bewusst wird, wechsle sie zu einer anderen Art der
Vermeidung. Von
"arbeitsfähigen Gruppen" spricht Bion, wenn sie frei von Vermeidungsmechanismen
geworden sind. Nach
Peck kann man eine Gemeinschaft auch "arbeitsfähige
Gruppe" nennen.
Bion sah drei Arten von Flucht
- Pseudoharmonie (langweilige
Höflichkeit, Vermeidung von Chaos und Konfrontation mit umstrittenen
Themen)
- Organisation (Vermeidung von Leere
z.B. durch Bildung von Untergruppen)
- Ignorieren von Schmerz. (91-100)
Im Gegensatz zu
den fruchtlosen Kämpfen, die der Aufgabenvermeidung dienen, "beinhalten
die Kämpfe einer authentischen Gemeinschaft den kreativen Entleerungsprozess,
der das Erreichen eines echten Konsenses ermöglicht". (S. 96)
Pecks vier Stufen der spirituellen Entwicklung
Nach Peck gibt es vier Stufen der
spirituellen Entwicklung (S. 161-164):
Diese Stufe ist
chaotisch und antisozial. Die Menschen auf dieser Stufe sind unfähig, zu
lieben. Sie sind manipulativ und eigennützig und ohne Prinzipien.
Diese Stufe ist
formal und institutionell. Die Menschen auf dieser Stufe brauchen eine straff
strukturierte Organisation: Kirche, Militär. Prinzipien- und Gesetzestreue. Sie
wollen andere bekehren oder retten (S. 171). Die Vorstellung von Gott ist fast
vollständig die eines äußeren, jenseitigen Wesens mit strafender Gewalt, eine
Art "himmlischer Polizist".
Diese Stufe ist
skeptisch und individuell. Menschen auf dieser Stufe sind Atheisten, Agnostiker,
aber "kein bisschen antisozial". Sie sind Wissenschaftler,
Wahrheitssuchende, die in der Fülle ihres Wissens "kurze Blicke auf das
große Bild (erhalten) und sehen, dass es in seiner Pracht jenen 'primitiven
Mythen und dem Aberglauben' ihrer Stufe-II-Eltern oder -Großeltern erstaunlich
ähnelt. In diesem Augenblick beginnen sie ihren Übergang zu Stufe IV." Nur
wer tief genug zweifelt, eben auch am Zweifel selbst, kann zur Stufe IV
gelangen.
Diese Stufe ist
die der "mystischen Gemeinschaft". "Mystiker aller
Religionen" haben "von Einheit gesprochen, von einer untergründigen
Verbindung zwischen den Dingen: zwischen Männern und Frauen, zwischen uns und
anderen Geschöpfen und sogar der 'unbelebten' Materie. … Sie lieben das
Geheimnis im Gegensatz zu denen auf Stufe II, die einfache, klar umrissene
dogmatische Strukturen brauchen und wenig Gefallen am Unbekannten und
Unerkennbaren finden."
"Während
Männer und Frauen der Stufe IV religiös werden, um sich dem Mysterium zu
nähern, tun es die Menschen der Stufe II häufig, um ihm zu entfliehen. So
entsteht das Durcheinander von Menschen, die derselben Religion aus
verschiedensten Motiven beitreten. Das ergibt nur Sinn, wenn wir den religiösen
Pluralismus unter dem Gesichtspunkt der Entwicklungsstufen betrachten."
Mystiker haben immer auch "von der Leere berichtet und geschwärmt".
Viele leben in Gemeinschaften und "wissen, dass die ganze Welt eine
Gemeinschaft ist. Der Mangel dieses Bewusstseins führt zu Trennung und
Kriegen." (S. 164-165)
"Nur allzu
leicht entsteht ein Gefühl der Bedrohung zwischen den Menschen verschiedener
Stufen der religiösen Entwicklung. Meistens fühlen wir uns von Menschen der Stufe
über uns bedroht. (…) Wenn Menschen uns einen Schritt voraus sind, bewundern
wir sie für gewöhnlich. Wenn sie uns zwei Schritte voraus sind, denken wir
gewöhnlich, dass sie gefährlich sind." Aus diesem Grund wurden Sokrates
und Jesus getötet.
Ein Mensch der
Stufe IV wird, "obwohl er selbst sehr fortgeschritten ist, nicht der beste
Therapeut für viele sein". Stufe-II-Leute und -Programme bieten "die
beste Therapie für Stufe-I-Leute. (…) Stufe-IV-Therapeuten können am besten
höchst unabhängige Menschen zur Erkenntnis der mystischen Verflochtenheit
dieser Welt führen. Die meisten von uns ziehen jemanden mit einer Hand hoch,
während wir selbst an der anderen hochgezogen werden. (…) Eine Gruppe von nur
Stufe-IV-Leuten (…) ist nicht so sehr eine Gemeinschaft wie einer Clique. Eine
wahre Gemeinschaft wird wohl Menschen aller Stufen umschließen." (S. 166-167)
"Eine der
größten Herausforderungen für die Kirche ist tatsächlich, wie sie die Umwandlung
ihrer Mitglieder von Stufe II zu Stufe IV erleichtert, ohne dass sie ein ganzes
Erwachsenenleben auf Stufe III zubringen müssen." (S. 167)
Wenn die "Teilnehmer
in der Gemeinschaft gelernt haben, sich in Beziehung zueinander gemäß der Stufe
IV zu verhalten", behalten sie "jedoch ihre ursprünglichen
Identitäten der Stufen I, II, III oder IV". Es ist wichtig, "sich gegenseitig als auf verschiedenen
Stufen stehend anzuerkennen. Solche Anerkennung ist eine Voraussetzung für
Gemeinschaft (…) sie kann nur durch die Leere erreicht werden (…)." Ist
sie aber einmal erreicht, besitzen alle, egal auf welcher Stufe sie stehen,
"sich so zueinander zu verhalten, als ob sie auf Stufe IV stünden (…). Aus
Liebe und Hingabe an das ganze sind wir alle fähig, unseren Hintergrund und
unsere Begrenzungen zu überwinden. Deshalb ist authentische Gemeinschaft soviel
mehr als die Summe ihrer Teile. Sie
ist in Wahrheit ein mystisches Ganzes." Mit anderen Worten: Die Gruppe,
die authentische Gemeinschaft wurde, bringt alle auf Stufe IV, was ein Mysterium
ist. (S. 171-172)
Menschen auf Stufe
III, die sich der Stufe IV nähern, entdecken Gesinnungsgenossen in aller Welt
und die Möglichkeit, unabhängig von den eigenen Traditionen zu einer weltumfassenden
Kultur zu gehören". Und: "Obwohl sie eine kleine Minderheit waren,
haben die Mystiker aller Religionen eine verblüffende Einheitlichkeit
bewiesen." (S. 173)
Gemeinschaft, Spiritualität, Mystik, Religion
"Vieles
übersteigt unsere Persönlichkeit. Zum Beispiel Gott, das Gute, die Liebe, das
Böse, der Tod, das Bewusstsein. (…) Auch Gemeinschaft ist ein solches Phänomen.
Genau wie Elektrizität hat sie eine tiefe Gesetzmäßigkeit. Trotzdem wohnt ihr
etwas Geheimnisvolles, Wunderbares, Unbegreifliches inne. Es gibt deshalb für
echte Gemeinschaft keine hinreichende Definition in einem Satz." (S. 50)
Christliche
Teilnehmer betrachten den "Gemeinschaftsgeist nicht als rein menschlichen
Geist", sondern als einen Geist, der "wie der Heilige Geist über
Jesus und seine Taufe kam in Form einer Taube" über eine Gruppe kommt.
"Die Weisheit einer authentischen Gemeinschaft erscheint oft wie ein Wunder." Ihr
Entstehen führen christliche Intellektuelle auf "ein Zutun Gottes und des
Heiligen Geistes" zurück. (S. 64-65)
"Obwohl sie
eine kleine Minderheit waren, haben die Mystiker aller Religionen eine verblüffende
Einheitlichkeit bewiesen." (S. 173) Mystiker haben immer "von der
Leere berichtet und geschwärmt". Viele leben in Gemeinschaften und
"wissen, dass die ganze Welt eine Gemeinschaft ist. Der Mangel dieses
Bewusstseins führt zu Trennung und Kriegen." (S. 165)
Die
Weiterentwicklung von einer Stufe zur nächst höheren Stufe des spirituellen Wachstums
ist nicht allein unserer eigenen Anstrengung geschuldet. Die Transformation
schaffen wir nicht aus eigener Kraft. Sie ist "eher ein Geschenk
Gottes". Das bedeutet: "Wir müssen Gott die Lenkung überlassen."
Selbst beim Übergang von Stufe II zu III hat Gott "seine Hand im
Spiel". (S. 170)
"Wir können
nicht heil werden ohne die Bereitschaft, vorher verletzt zu werden. Wenn Jesus,
der Heiland, uns etwas lehrt, dann dass der Weg zur Errettung durch die Verwundbarkeit
führt. Die Theologin Dorothee Sölle spricht von Jesus "als der einseitigen
Abrüstung Gottes". (S. 192-193)
196 Christen
verehren einen Gott, "der in paradoxer Schwäche die Welt regiert".
Gemeinschaft "bezieht
uns Menschen ein in einen lebendigen mystischen Körper". (S. 199)
Wahre Religion ist
einschließend, integrierend. Falsche Religion ist einseitig und versagt dabei,
"das Ganze zu integrieren". (S. 204)
Es gibt
"keinen Glauben, keine Theologie – wie falsch, unvollständig oder
ketzerisch sie auch sein mag – die nicht in die Einschließlichkeit wahrer
Gemeinschaft aufgenommen werden könnte. Deshalb ist der Versuch, Einzelne
auszuschließen wegen ihrer Überzeugung – mag diese auch noch so einfältig oder
primitiv sein – immer destruktiv für eine Gemeinschaft. (…) Die Verfolgung von
Ketzern ist immer selbst Ketzerei."
Echte Religion
zeigt sich im Handeln: "Das Bekenntnis zu einem religiösen Glauben ist
eine Lüge, wenn es nicht in signifikanter Weise das ökonomische, politische und
soziale Verhalten seiner Anhänger mitbestimmt." (S. 209)
Kontemplation, Meditation und Gebet
"Das Ziel von
Kontemplation ist gesteigertes Bewusstsein der Welt außerhalb von einem Selbst,
der inneren Welt und der Beziehung zwischen den beiden." (S. 56)
Die Leere, z.B. in
der Meditation, ist "Mittel zum Zweck". Ihr Wert ist, "dass was
immer in die Leere einzieht, jenseits unserer Kontrolle ist. Es ist das
Unvorhergesehene, das Unerwartete, das Neue." Ein kontemplativer
Lebensstil ist "einem Maximum an Wachheit gewidmet". Der Theologe
Matthew Fox definierte das Gebet "als radikale Antwort auf das
Leben". (S. 179)
Ein kontemplativer
Mensch stellt "immer wieder Fragen an das Leben" und ist "offen
und ehrlich genug", um "die Antwort des Lebens zu hören und über die
Bedeutung nachzudenken". Mitglieder von Gemeinschaften müssen kontemplativ
sein, Vertrautes zum Schweigen bringen und Fremdartiges willkommen heißen. Leere
schafft Raum für das Andere. (S. 180)
Zwei Beispiele für Gemeinschaften
Der St.
Aloysius-Orden in Illinois "ist kein normaler Orden. Er zeigt, wie
bestehende Gemeinschaften sich gründen und immer wieder erneuern müssen
zurückzuführen, indem sie aktuelle Entwicklungen einbeziehen, auf dass sie
lebendig bleiben." Der Orden "ist eine sehr intensive
Gesellschaftsform. Das Leben der Mitglieder ist eng miteinander verknüpft mit
einem hohen Grad an zwischenmenschlicher Aktivität. Der Orden hat sich für ein
sehr geringes Maß an autoritärer Struktur in seiner Organisation und Führung
entschieden."
Der Erfolg des Ordens beruht auf
- Bestehen auf Konsensentscheidungen
(hierarchisch unstrukturiert)
- Strenge und straffe Organisation
- Humor. (S. 126)
Die Kellergruppe
wurde initiiert durch zwei Geistliche und einen christlichen Psychologen. Die Regeln
waren: Sich verletzlich zeigen, offen Zuhören, Aussprechen, was woanders nicht
gesagt werden kann, kein Urteil, keine Geheimnisse, gegenseitige Unterstützung,
kein Alkohol und Schweigeritual am Anfang. Die Kellergruppe hat sich
"sorgfältig auf eine einzige Aufgabe beschränkt: gegenseitige
Unterstützung". Es gilt: "Unser Sinn ist zu lieben, nicht zu
heilen." Es "wird viel gelacht während der zweistündigen Sitzungen,
und viele haben ihre Mitgliedschaft als heilend empfunden."
Es gibt eine
Testphase für Unentschiedene (Unstete): "Es wurde erkannt, dass manche
Menschen für sich eine Testphase brauchten, ehe sie sich verbindlich engagieren
konnten, und dass, solange es einen starken Kern Engagierter gab, die Gruppe
als Ganzes die Last der Unentschiedenen tragen konnte." (S. 128-136)
Zwei Geschichten
Im Buch gibt es
zwei hervorstechende Geschichten. Hier ganz kurz der Inhalt:
Ein Abt fragt
einen sterbenden Rabbi um Rat, wie er seinen sterbenden Orden retten könnte.
Der Rabbi hat keinen Rat. "Das Einzige, was ich euch sagen kann, ist, dass
der Messias einer von euch ist." (S. 13)
Ein Rabbi hat sich
im Wald verirrt und trifft auf eine Gruppe aus seiner Synagoge, die sich ebenfalls
verirrt hat. Überfroh hofft die Gruppe, dass der Rabbi sie aus dem Wald führen
wird. Der Rabbi sagt: "Ich habe mich genauso verirrt wie ihr. Aber ich
habe mehr Erfahrung im Verirrtsein und kann euch 1000 Wege sagen, die nicht aus
dem Wald herausführen. Mit dieser schwachen Hilfe finden wir vielleicht, wenn
wir zusammenarbeiten, unseren Weg gemeinsam." (S. 99)
Zusammenfassung und kritische Würdigung
Ich möchte die für
mich wesentlichen Botschaften des Buches in meinen eigenen Worten kurz
zusammenfassen: Laut Peck ist echte Gemeinschaft der Ort, wo niemand mehr versucht,
dich zu verändern, dich in Ordnung zu bringen oder zu heilen. Du kannst dich
viel mehr als in der Alltagswelt so zeigen, wie du wirklich bist und dich
fühlst. Du darfst anders sein und anders denken als die anderen. Und du darfst,
ja du sollst sogar deine Schwächen und Verletzlichkeiten zeigen. Du darfst
darauf hoffen, dass du für deine Offenheit geschätzt wirst und dass sie nicht
gegen dich verwendet wird.
Natürlich verlangt
Gemeinschaft auch viel von dir. Du musst dich üben in Toleranz, Wertschätzung
des Anders- und Fremdartigen. Du musst dich mit deinen Schattenthemen
auseinandersetzen und kannst sie nicht mehr in den anderen bekämpfen. Vor allem
aber verlangt Gemeinschaft Verbindlichkeit, "commitment", einen hohen
Einsatz an Zeit, Energie und Veränderungsbereitschaft.
Es geht im
Gemeinschaftsbildungsprozess – insbesondere in der Chaosphase – ganz wesentlich
darum, dass alle Gruppenmitglieder zusammen eine grundlegende gemeinsame
Erfahrung machen: die Erfahrung und Erkenntnis, dass die eigenen bisher bewährten
Muster des Denkens und Handelns und alle gewohnten Therapien, Lösungsstrategien
und Kontrollmechanismen völlig versagen, wenn eine oder einer sie als Rezept
für alle anderen Teilnehmer und für alle Probleme, die in der Gruppe
auftauchen, anwenden will. Wir können uns nicht gegenseitig reparieren.
Aus dieser
Erfahrung und Einsicht heraus hat die Gruppe die Chance, in die überaus wichtige
Phase der Leere einzutreten. Wenn diese Phase gelingt, geben alle Mitglieder
nach und nach ihre Versuche auf, mit den eigenen Konzepten die Probleme der
anderen oder der Gruppe zu lösen. Dieses Aufgeben wird zu Beginn oft
schmerzlich, beunruhigend oder bedrückend erlebt. Es ist aber alles andere als
ein resignativer Vorgang. Es ist ein Augenblick der Stille und des Friedens.
Es öffnet sich ein
leerer Raum, in dem eine völlig neue Erfahrungsqualität von menschlichem
Miteinander möglich ist: eine Group of all Leaders, eine Gruppe mit fließender
Führung, in der es die, die
üblicherweise führen, genießen, nicht alles kontrollieren und verantworten zu
müssen. Und in der die, die sich üblicherweise zurückhalten, in Kontakt mit
ihren verborgenen Führungsqualitäten kommen.
Echte Gemeinschaft
im Sinne von Peck ist erkennbar daran, dass die Mitglieder einander wirklich
zuhören. Sie können unterschiedlicher Meinung sein, sie können Konflikte
austragen, sie können miteinander ringen, aber nicht um die eigene Position
durchzusetzen, nicht um zu gewinnen, nicht um zu dominieren. Peck spricht von
einem "liebenden Kampf" mit dem Ziel, Konsens und gute Lösungen für
alle zu erzielen. Das Ziel von Gemeinschaft ist Friede und Liebe. Gemeinschaft steht
für das Gute und richtet sich nicht gegen das Schlechte.
Das hört sich
alles recht sozialutopisch an. Aber Peck verheimlicht nicht die zahlreichen
Schwierigkeiten, Hürden und Rückschläge im Prozess der Gemeinschaftsbildung und
auch nicht die enorme Last, die auf den Begleitern liegt, die sich nicht dazu
hinreißen lassen, Vorturner für die Gruppe zu spielen. Gemeinschaftsbildung
kann auch scheitern. Und sie scheitert immer wieder. Und selbst gelungene
Gemeinschaftsbildung nutzt sich ab. Sie muss immer wieder erneuert werden, indem
eine Gruppe Phasen des Chaos und der Leere erneut durchlebt und durchleidet. Jede
Gemeinschaft hat ihre Zeit und ihr Ende. Echte Gemeinschaft im Sinne von Peck
zielt gerade nicht auf unbegrenzte Dauer, die nach seiner Meinung nur durch erstarrende
Organisation und hierarchische Strukturen erreichbar ist. Es ist besser, eine
Gemeinschaft stirbt, als dass sie – wie es oft passiert – ein Feindbild aufbaut
und/oder unlebendig wird.
Für Menschen, die in Gemeinschaft leben wollen, ist das Buch von Peck lesenswert. Es enthält viele interessante Ansätze. Diese sind aber in keiner Weise empirisch geprüft. Bei genauem Hinsehen enthält das Buch etliche Glaubenssätze, die sich mit meinen eigenen (natürlich sehr subjektiven) Gemeinschaftserfahrungen nicht decken. Ich habe mehrere Gemeinschaften erlebt, in denen der Wir-Prozess nach Peck in geradezu missbräuchlicher Weise Anwendung fand. Ich habe ihn aber auch in vorbildlicher Weise begleitet gesehen.
Insbesondere die Kommunikationsregeln von Peck kann ich persönlich durchaus empfehlen, sofern sie von der dahinter stehenden Ideologie abgekoppelt werden.
Original 1987: "The Different Drum - Community Making and Peace".